Besuch in der Normandie am 10. und 11. Oktober zum Gedenken an die gefallenen Soldaten im 2. Weltkrieg

Soldatenfriedhöfe in der Normandie

Geplant hatte die AMI, der Partnerschaftsverein von Montigny le Bretonneux, die internationale Fahrt zu den Soldatenfriedhöfen des 2. Weltkrieges in der Normandie für Ende März. Corona jedoch machte einen Strich durch den Termin. Also wurde das Ereignis auf das Wochenende vom 10./11. Oktober verschoben.
Somit startete der große Bus am Samstag, den 10.10., pünktlich um 06.30 Uhr, denn das Vormittagsprogramm an der Kanalküste war engmaschig gefüllt. Es herrschte Maskenpflicht im Bus, was niemanden störte. Zwischen den Reisenden war immer eine Reihe frei, so dass der Abstand untereinander immer gewährleistet war. Der internationale partnerschaftliche Rahmen der Unternehmung war etwas abgeschwächt ausgefallen. Die englischen Freunde aus Denton mussten wegen der Quarantänevorschriften leider absagen und aus Kierspe waren nur die Eheleute Doris und Harald Kredler mit von der Partie.

Erster Stopp war in Merville nördlich von Caën an der Orne-Mündung, wo die deutsche Wehrmacht in Erwartung einer Invasion durch die Briten und Amerikaner eine Batteriestellung aus massiven Betonbunkern zwischen 1942 und 1944 errichtet und teilweise mit Bodenaushub getarnt hatte. In einem kleinen Bunkermuseum konnte man die Übernahme der Festung durch britische Fallschirmspringer am 06.Juni 1944 eindrucksvoll miterleben.

Einige Kilometer im Landesinneren befindet sich der britische Soldatenfriedhof von Ranville mit ca. 2.500 Gräben. Überwiegend handelt es sich um Gefallene aus dem Vereinigten Königsreich, dem Commonwealth, aus Deutschland und Frankreich. Im Angedenken an alle diese toten Soldaten legten Jean-Pierre Pluyaud als Vertreter der Stadt Montigny le Bretonneux, Françoise Chaouch, eine der Vorsitzenden der AMI, und Harald Kredler vom Verein für Städtepartnerschaften Kierspe ein Blumengebinde am zentralen Gedenkstein nieder. Nach der Zeremonie luden die ordentlich gepflegten Grabreihen alle zu einem Rundgang ein. Erschüttert entdeckte man das Alter der Soldaten auf ihren weißen Grabsteinen: 873 Gefallene waren unter 23 Jahre alt, der jüngste gerade einmal 16.

Eine kurze Fotorast an der durch Filme bekannten Pegasus Bridge erinnerte an die Eroberung dieser intakten Brücke durch die Briten in der Nacht vom 05./06.Juni 1944. Das benachbarte, aber mittlerweile geschlossene Café, gilt als das erste befreite Haus in Frankreich während der alliierten Landung. In Courseulles-sur-Mer, dem ersten befreiten Fischereihafen Frankreichs, wurde das gemeinsame Mittagessen eingenommen. Natürlich wurden dabei ganz frische Meeresfrüchte verzehrt, bevor es weiter zum kanadischen Museum ging. Eröffnet wurde es in 2003, nachdem kanadische Veteranen bei ihrem Besuch festgestellt hatten, dass es bis auf einen Friedhof keine museale Erinnerungsstätte für ihre 55.000 toten Kameraden im Landungsgebiet gab. Es steht unter der Schirmherrschaft eines ehrenamtlichen Vereins Kanadas und unterstreicht sehr informativ und stolz die teilweise unbekannte Leistung der kanadischen Beteiligung an den Befreiungskämpfen.
Ganz in der Nähe erinnert das Kreuz von Lothringen (Croix de Lorraine) an die Rückkehr des Generals Charles de Gaulle , der von London aus den Widerstand (Résistance) gegen die deutsche Besatzungsmacht durch BBC-Radiobotschaften organisiert hatte.

Anschließend beim Abendessen im Hotel konnte man die Freude, Begeisterung und Dankbarkeit des Hotelpersonals förmlich fühlen. Sie waren glücklich über die Präsenz einer größeren Reisegruppe in coranabedingten schwierigen Zeiten.

Gestärkt von einem opulenten Frühstücksbuffet führte die Weiterfahrt zu den Höhen von Arromanches, von wo aus man einen Blick auf die Reste des von Churchill konzipierten künstlichen Hafens für die alliierten Anlandetruppen hatte. Die deutsche Batterie in Longues-sur-Mer ist die am besten erhaltene Bunkeranlage an der Kanalküste. Bedrohlich ragen die Rohre der gewaltigen tschechischen Kanonen in Richtung Meer. Die Betonmauern sind teilweise zwei Meter dick und kaum zerstört. Trotzdem wurde die Stellung am 06. und 07. Juni 1944 von britischen und französischen Kreuzern außer Gefecht gesetzt.
OMAHA oder „Bloody Omaha“, wie die Amerikaner diesen Strandabschnitt nennen, verzeichnete die meisten Toten und Verwundeten Invasionstruppen (3.881 Opfer) an einem Tag, dem 06. Juni. Der amerikanische Friedhof nahe Colleville-sur-Mer ist eine riesige Parklandschaft weißer Stelen mit Kreuzen oder Davidsternen, alle orientiert gen Westen Richtung Herkunfts- und Heimatland. Überwältigend ist die Menge, ergreifend die Würdigung und Ehrung der 9.386 begrabenen Toten. Das Besucherzentrum mit strenger Einlasskontrolle zeigt die amerikanische Aufarbeitung und Erinnerungskultur sowie den Stolz auf die erfolgreiche, jedoch verlustreiche Teilnahme am Befreiungskampf gegen Nazi-Deutschland.

Die kurze Fahrt nach La Cambe läutete den Part der beiden deutschen Teilnehmern ein. H. Kredler verlas einen Text über die tragische Geschichte eines jungen deutschen Soldaten aus Meinerzhagen, der in der Normandie gefallen und im deutschen Soldatenfriedhof in La Cambe seine letzte Ruhestätte gefunden hatte (Siehe separaten Artikel.).
Ein deutscher Soldatenfriedhof strahlt eine ganz andere Atmosphäre aus als diejenigen, die vorher besichtigt wurden. Gruppen dunkler und massiver Steinkreuze und schlichte Rasensteine unter hohen Laubbäumen muten bedrückend und mahnend an, verbreiten jedoch eine sehr festliche und seriöse gefasste Stimmung. Ein großer Grabhügel in der Mitte der Gedenkanlage mit Metalltafeln lassen die Namen der Verstorbenen erkennen, unter anderen den des Meinerzhageners Karl-Hans Schulte. Doris und Harald Kredler dekorierten im Namen der Großnichte, der Lehrerin Elsbeth Goecke und des Vereins für Städtepartnerschaften Kierspe die Namenstafel mit einem kleinen Blumenstrauß. Mit einem gemeinsamen Blumengesteck der Partnerschaftstädte Montigny le Bretonneux, Denton und Kierspe gedachten Jean-Pierre Pluyaud, Francoise Chaouch und Harald Kredler der vielen Soldaten, die zum größten Teil in der Blüte ihres jungen Lebens in den Tod gerissen worden waren.

Die gemeinsame Aktion diente ebenfalls ausdrücklich dazu, die Freundschaft der drei internationalen Partner in einer friedlichen Welt zu untermauern. Alle Beteiligten waren sichtlich ergriffen über das verbindende Erlebnis und begaben sich zu der Ansammlung der durch die Angehörigen der bestatteten Gefallenen gestifteten Ahornbäumchen. Elsbeth Goecke hatte dort einen Ahorn pflanzen lassen.

Ein kurzer Eintrag ins Gästebuch des vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge instand gehaltenen Gedenkstätte für über 20.000 deutsche Kriegstote in La Cambe beendete das Partnerschaftswochenende.

Harald Kredler
58566 Kierspe
Drosselweg 47
o2359 36 95
hkredler@aol.com
05.11.2020

Hans Schulte und Elsbeth Goecke

Auf dem deutschen Soldatenfriedhof La Cambe in der Normandie befindet sich die letzte Ruhestätte von Hans Schulte, der 1918 in der Nähe von Meinerzhagen geboren wurde. Jung und blond, voller Tatendrang und Frohsinn verliebte er sich in Elsbeth Goecke, die im Bruch in Neuemühle lebte. Die beiden verlobten sich. „Elsbeth wollte ihren Hans heiraten, alles war fest geplant. Dann kam der Krieg.“ Hans wurde zum Dienst an der Waffe eingezogen. In der Wehrmacht diente er bis zu seinem Tod in 1944 als Oberleutnant. Zunächst galt er als vermisst. Seine sterblichen Überreste wurden – wahrscheinlich in 1961 – identifiziert und in La Cambe begraben. Für Elsbeth war es „lebensprägend, dass ihr Hans im Krieg gefallen ist. Sie ist daher kinderlos geblieben. Erst sehr spät im Leben hat sie ihren späteren Mann Werner Ax kennen gelernt. Beide müssen über 50 Jahre gewesen sein, als sie sich gebunden haben.“ Sie war Deutschlehrerin am Meinerzhagener Gymnasium und Autorin mehrerer Lektüren über deutsche Sagen. Sie „hat, durch dieses Erleben geprägt, sich bis ihr Lebensende um Versöhnung und Aussöhnung gekümmert. Eigentlich war es ihr Lebensthema. Das NS-Regime war ihr Mega-Horror. Sie selbst war Mitglied im BDM (Bund Deutscher Mädchen) und war nachträglich so erschrocken, wie sie als kleines Mädchen fasziniert vom gemeinsamen Singen, den gemeinsamen Ausflügen in die Natur etc. war. Und wie sie dadurch Teil eines Systems geworden war, total verführbar. Daher blieb sie als Lehrerin immer Warnerin und Mahnerin, zu welchen grauenhaften Taten Menschen in der Lage sind. Und sie war sehr aktiv in der Kriegsgräberfürsorge.“

Wie konnten alle diese Informationen über das Leben der beiden zusammen getragen werden?

Bei der Vorbereitung der Partnerschaftsfahrt in die Normandie hatten Claudine und François Adroit in unmittelbarer Nähe des deutschen Friedhofes in La Cambe beim Ausführen ihres Hundes einen Ahornbaum mit dem Stifternamen „Elsbeth Ax-Goecke Meinerzhagen“ entdeckt. Dieser Fund veranlasste die beiden aus Montigny le Bretonneux, den Verein für Städtepartnerschaften in Kierspe zu informieren und um historische Aufklärung zu bitten. Christiane Busch und Harald Kredler nahmen sich der Aufgabe an und konnten das Geheimnis lüften.
Elsbeth Goecke hatte eine Großnichte namens Julia Jäkel, die oft und gerne in ihrer Kindheit und Jugend ihre Schulferien bei ihrer Großtante auf dem Lande verbrachte. Nach Abschluss ihres Studiums arbeitete sie in mehreren Unternehmen im Managementbereich. Sie vermählte sich mit Ulrich Wickert, dem langjährigen deutschen Fernsehkorrespondenten in Paris. Dieser hielt vor einigen Jahren einen Vortrag in Meinerzhagen. Dabei erwähnte er, dass seine Frau eine persönliche Beziehung zu Meinerzhagen und seinem Gymnasium sowie zur Tageszeitung Meinerzhagener Zeitung hat. C. Busch erinnerte sich an diesen Bezug und befragte einige einheimische Bekannte. Danach folgte eine Recherche bei Google und der Name Julia Jäkel und ihre Funktion als Managerin (CEO) eines bekannten Hamburger Verlagshauses sowie ihre Wahl als Medienmanagerin des Jahres 2016 tauchten auf. In einem Brief an ihre Verlagsadresse wurde der Grund der Kontaktaufnahme und die Bitte um Informationen erwähnt. Nur wenige Tage später antwortete Julia Jäkel sehr herzlich: „Vielen Dank für Ihren Brief und dass Sie sich die Mühe gemacht haben, mich zu finden und die Verbindung zu Hans zu recherchieren – darüber habe ich mich wirklich sehr gefreut. Meine Großtante, meine ‚Tante Elsbeth‘, die nun auch einige Jahre tot ist, wäre sehr glücklich, wenn sie wüsste, dass sich Menschen für ihren Hans und all die schrecklichen Schicksale damals interessieren.“
Seitdem besteht eine sehr persönliche E-Mail-Korrespondenz, die in die Niederlegung eines Blumenstraußes in La Cambe am 11. Oktober mündete. Zur Erinnerung an Hans Schulte wählte Julia Jäkel die Schleifen-Inschrift „Zum Gedenken an Hans Schulte. Die Nachfahren von Elsbeth Goecke.“
Anmerkung: Alle Zitate in diesem Text stammen aus den Briefen von Julia Jäkel.